Joachim Kaiser

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Joachim Kaiser (2007)

Joachim Kaiser (* 18. Dezember 1928 in Milken, Kreis Lötzen, Ostpreußen; † 11. Mai 2017 in München) war einer der einflussreichsten deutschsprachigen Musik-, Literatur- und Theaterkritiker seiner Zeit. Seit 1959 arbeitete er als leitender Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung; von 1977 bis 1996 war er Professor für Musikgeschichte an der Hochschule für Musik und Darstellende Künste in Stuttgart.

Joachim Kaiser wurde als Sohn des Landarztes Wilhelm Kaiser (1896–1971) und dessen Frau Charlotte, geb. Abramowski (1898–1962), in Milken geboren.[1] Im Alter von acht Jahren begann er mit dem Klavierspiel. Das gemeinsame Musizieren mit seiner Familie zählte er später zu den glücklichsten Momenten in seinem Leben. Literatur und Musik begannen ihn früh zu interessieren. Nach der Flucht aus Ostpreußen zu Kriegsende besuchte er das Wilhelm-Gymnasium in Hamburg. Anschließend studierte er Musikwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Soziologie in Göttingen, Frankfurt am Main und Tübingen. Zu seinen Kommilitonen gehörten die Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus und Rudolf Stephan.

Im Juni 1951 begann er seine journalistische Laufbahn als Theater-, Literatur- und Musikkritiker. Den Weg dazu ebnete ihm die Besprechung einer Veröffentlichung von Theodor W. Adorno: Musik und Katastrophe. Über die „Philosophie der Neuen Musik“. Adorno empfahl Kaiser Alfred Andersch vom Hessischen Rundfunk, was wiederum die Frankfurter Hefte aufmerksam machte. Mathias Döpfner bezeichnete ihn als einen „der bekanntesten und erfolgreichsten Adorno-Schüler überhaupt“.[2] Auf Einladung von Hans Werner Richter durfte Kaiser ab 1953 an Veranstaltungen der Gruppe 47 teilnehmen. 1958 wurde er in Germanistik an der Universität Tübingen über das Thema Franz Grillparzers dramatischer Stil promoviert. Auf Initiative des damaligen SZ-Journalisten Erich Kuby konnte Kaiser ab 1959 in der Kulturredaktion der Süddeutschen Zeitung arbeiten. Er war Mitglied in der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland.

Kaiser zählte neben Marcel Reich-Ranicki zu den einflussreichsten Kritikern Deutschlands. Sein Buch Große Pianisten in unserer Zeit (1965) wurde gelegentlich als „Klavier-Michelin“ bezeichnet.[3] Neben wegweisenden Pianisten wie Artur Rubinstein, Vladimir Horowitz, Glenn Gould, Swjatoslaw Richter oder Friedrich Gulda stellte er junge Interpreten vor und erläutert Entwicklungen in der Klavierkunst.[4] Kaiser fühlte sich in besonderer Weise dem Werk Richard Wagners verbunden und unterstützte und begleitete den Neubeginn der Bayreuther Festspiele im Jahre 1951 unter der Regie der Wagnerenkel Wieland und Wolfgang Wagner.

Joachim Kaiser war seit Dezember 1958 mit der Übersetzerin und Romanautorin Susanne Kaiser († 2007) verheiratet,[5] mit der er zwei Kinder hatte: die Regisseurin Henriette Kaiser[6] (* 30. Dezember 1961) und den Sportredakteur Philipp Kaiser (* 29. August 1963). Sein Domizil befand sich in München am Rande des Englischen Gartens.[7]

2009 übergab er sein umfangreiches Privatarchiv dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar als Vorlass. Neben Briefen von Theodor W. Adorno und Alfred Andersch enthält es Korrespondenz mit Ingeborg Bachmann, Ernst Bloch und Heinrich Böll.[8] Von Mai 2009 an beantwortete Kaiser in seiner Video-Kolumne Kaisers Klassik-Kunde auf der Website des SZ-Magazins wöchentlich Fragen der Leser. Infolge einer Erkrankung – Kaiser hatte einen Schlaganfall erlitten, der dazu führte, dass er nicht mehr schreiben konnte[9] – musste er dies im Januar 2011 aufgeben. Die Reihe wurde seitdem nicht mehr fortgesetzt.[10]

Werke (Auswahl)

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  • Kleines Theatertagebuch. Rowohlt, Reinbek 1965 (mit Vorwort: Kritik als Beruf).
  • Große Pianisten in unserer Zeit. Piper, München 1965; Neuausgabe 1996, ISBN 3-492-22376-1.
  • Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten. S. Fischer, Frankfurt am Main 1975, ISBN 3-10-038601-9.
  • Erlebte Musik. Von Bach bis Strawinsky. Hoffmann und Campe, Hamburg 1977, ISBN 3-455-08942-9.
  • Erlebte Musik. Teil 2. Von Wagner bis Zimmermann. DTV, München 1982, ISBN 3-423-01787-2.
  • Mein Name ist Sarastro. Die Gestalten in Mozarts Meisteropern von Alfonso bis Zerlina. Piper, München 1984, ISBN 3-492-02818-7.
  • Wie ich sie sah … und wie sie waren – Zwölf kleine Porträts. List, München 1985, ISBN 3-471-77969-8.
  • Erlebte Literatur. Deutsche Schriftsteller in unserer Zeit. Piper, München 1988, ISBN 3-492-03048-3.
  • Leben mit Wagner. Knaus, München 1990; Neuausgabe: Siedler, München 2013, ISBN 978-3-8275-0028-1.
  • „Vieles ist auf Erden zu thun.“ Imaginäre Gespräche (…). Piper, München 1991, ISBN 3-492-03490-X.
  • Was mir wichtig ist. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1996, ISBN 3-421-05056-2.
  • Kaisers Klassik. 100 Meisterwerke der Musik. Schneekluth, München 1997, ISBN 3-7951-1425-X.
  • Kaisers Klassik. Da Capo. Schneekluth, München 1999, ISBN 3-7951-1732-1.
  • Von Wagner bis Walser. Neues zu Literatur und Musik. Pendo, Zürich 1999, ISBN 3-85842-358-0.
  • „Ich bin der letzte Mohikaner“. (Autobiografie, mit Henriette Kaiser). Ullstein, München 2008, ISBN 978-3-550-08697-7.

Werkverzeichnis

Zu Kaisers langjähriger Vortragstätigkeit im Münchner Gasteig gehören seine ausführlichen Vortragsreihen zu bestimmten Künstlern und Kunstformen, vor allem zum Thema Musik:

Vom 11. Oktober 1994 bis 17. Juli 2007 gab Kaiser 206 Vorlesungen, insgesamt 322. Mit 170.000 Zuhörern sind Kaisers Vorträge die bislang erfolgreichste Veranstaltung der Münchner Volkshochschule.

In wöchentlichen Rundfunksendungen (einstündig, zum Beispiel „Kaisers Corner“ in Bayern4-Klassik) befasste er sich beispielsweise ein halbes Jahr lang mit Chopin und ein ganzes Jahr mit „Beethoven – Werk und Wirkung“. Dazu kamen regelmäßige Wortsendungen, wie etwa „Kaisers Zeitschriftenschau“.

  • Der letzte Kaiser. Fernseh-Feature, 2008, 5:25 Min., Buch: Peter Gerhardt, Produktion: hr, ttt – titel, thesen, temperamente, Erstsendung: 16. November 2008.
  • Musik im Fahrtwind. Dokumentarfilm, 2006, 87 Min., Buch und Regie: Henriette Kaiser, Produktion: Lemuel Film, Erstausstrahlung: 5. November 2006, BR
  • Der Klassik-Kaiser. Dokumentarfilm, 1997, Buch und Regie: Eckhart Schmidt, Produktion: Raphaela Film GmbH
  • Im Spielfilm Bruckners Entscheidung (1995) von Jan Schmidt-Garre spielte Kaiser Richard Wagner.
Commons: Joachim Kaiser – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Interviews

Nachrufe

Einzelnachweise

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  1. European Biographical Directory, 9th edition (1991-1992), Vol. 1: A-K, S. 1137.
  2. Mathias Döpfner: Wie Joachim Kaiser zum Anti-Adorno wurde. In: welt.de. 18. Dezember 2008, abgerufen am 4. Dezember 2015.
  3. Es wurde 1996 von Klaus Bennert erweitert; kurz danach starb Benert.
  4. Joachim Kaiser über Arthur Rubinstein: „Wunderbar, erstaunlich, unbegreiflich aber mutet nicht bloß technische Klarheit seines Spiels an, die rührende, in langsamen Sätzen herzbewegende Erlauchtheit seiner Phrasierung, das stürmische Temperament seiner Ausbrüche. Das alles wiegt viel, will erobern, bewahren und lebendig gehalten sein…“ In: Große Pianisten in unserer Zeit. 5. Auflage, 1996, S. 60.
  5. Autoren – Susanne Kaiser. Website des dtv.
  6. Süddeutsche Zeitung: Joachim Kaiser: Leben zwischen Büchern und Noten. Abgerufen am 6. März 2020.
  7. Ich habe nichts gegen Dackel. In: FAZ.net. 24. Oktober 2005, abgerufen am 4. Dezember 2015.
  8. Pressemitteilung PM 019 (Memento vom 28. Juli 2012 im Webarchiv archive.today), Deutsches Literaturarchiv, März 2009.
  9. Wiedergabe einer Rede der Tochter Kaisers in der Süddeutschen Zeitung vom 18. August 2020
  10. Folge 87: Ein Trick in Es-Dur. In: sz-magazin.sueddeutsche.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. Oktober 2015; abgerufen am 4. Dezember 2015. Erklärung der SZ-Redaktion vom Januar 2011 zu Kaisers Erkrankung (im Anschluss an einen der üblichen Kommentare zu „Kaisers Klassik-Kunde“).
  11. Siehe 1966 in: Theodor-Wolff-Preis – Preisträger der Jahre 1962 bis 1997 (Memento vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive)
  12. Siehe Theodor-Wolff-Preis – Preisträger 2010
  13. Redaktion: Die Feier der Journalisten des Jahres 2013. In: medium magazin. 5. Februar 2014, abgerufen am 28. April 2022 (deutsch).